Freitag, 15. Februar 2013

Vic et Flo ont vu un ours


Ein Interview mit Denis Côté war neulich in Revolver. Bislang hatte ich noch keinen seiner Filme gesehen. Schon deshalb hat mich „Vic et Flo ont vu un ours“ interessiert. Aus Kanada kamen zuletzt immer wieder ungewöhnliche frankophone Filme. Die Synopsis klang zwar nur mäßig interessant, aber der Titel ist witzig – allerdings nur auf Französisch. „Avoir vu le loup“, also den Wolf gesehen haben, heißt, man hatte zum ersten Mal Sex, hat seine Unschuld verloren. Und „être un peu ours“ – ein Satz der auch im Film fällt – heißt eigenbrötlerisch sein, „avoir ses ours“, seine Tage haben.


Und der Film macht da weiter, wenn er mit Klischees des Gangsterfilms spielt und sie mit kanadischer Hinterwälderalltagsschrägheit und einer lesbischen Liebesgeschichte kombiniert. Sicher kann man das Ende schlecht hergeleitet und übertrieben finden. Es dauert auch schlicht ein, zwei Einstellungen zu lang. Aber bis dahin wird ziemlich eindrücklich gezeigt, welche Schwierigkeiten eine fast sechzigjährige Ex-Sträflingin hat, ins Leben jenseits der Mauern zurückzufinden. Andererseits stolpert sie über skurrile Widerstände und Zwischenfälle, die den sozialrealistischen Gestus des Plots konterkarieren und eben in das überhöhte Finale münden, in dem Vic und Flo in für sie aufgestellten Bärenfallen verenden.


Dass hier mit Vic eine Frau mit dem Urteil lebenslänglich vorzeitig entlassen wird, ist bereits ein Signal. Es muss Mord gewesen sein, die Protagonistin lässt sich aber im Folgenden höchstens Ruppigkeiten gegen ihren paralysierten Onkel, die gemeinen Nachbarn oder den distanzlosen Sozialhelfer zu Schulden kommen. Ihre Freundin ist bi, der Sozialhelfer schwul – Vic erinnert ihn an seine Mutter – und da alle wichtigen Aktiva weiblich sind, ist auch die Böse eine Frau, mit der Flo eine Rechnung offen hat – welche, bleibt offen. Klar ist aber, wer einmal aus dem Blechnapf aß, die ist auch in Kanada und einem weitreichenden Sozialsystem nicht davor sicher, von dem eingeholt zu werden, vor dem sie in den Wald geflohen ist. Der Wald verspricht Menschenleere, Bären, Einsamkeit. Aber selbst in Kanada entkommt man der Gesellschaft nicht, weder der bürgerlichen fieser Nachbarn noch der kriminellen, die erst am Ende zeigt, dass sie sogar noch fieser sein kann.


Vieles wirkt in diesem Film eher gut gefunden als erfunden: die Gruppe Rennradfahrer, die aus dem Wald auftaucht und wieder verschwindet, das Elektroauto eines Golfplatzes, mit dem Vic und Flo durch die Gegend fahren, der Nachbarjunge mit seinem ferngesteuerten Helikopter, die Waldszenen, das Eisenbahnmuseum voller rostiger Lokomotiven, die trostlose Bar. Spätestens die Cartrennbahn weist darauf hin, dass hier mit System Orte und technische Embleme für gegenläufige (männliche) Lebensentwürfe versammelt sind, die in ihrer Disparatheit darauf hinweisen, wie disparat gesellschaftliche Zusammenhänge sind, wenn die Abgrenzung über technische Attribute erfolgt, die in dem Film wie Hundeduftmarken und immer als Aggressionen und Teil männlichen Revierverhaltens in Erscheinung treten. Altmodisch normal und friedlich scheint in diesem Panoptikum menschlicher Abgrenzungen, eigentlich nur die Ex-Gefangene leben zu wollen.

Sicher ist das nicht der vollendete Film des Jahres, aber ein Hinweis, wie man mit einfachen Mitteln jenseits der Dardennes und Ken Loach ein Sozialdrama entfalten kann, das noch die Zweifel am eigenen Genre reflektiert.


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