Mittwoch, 30. November 2011

Geile Nazis

Wenn ein Film vier Preise gewinnt, muss er in mindestens einer Hinsicht ungewöhnlich sein. Dieses Ungewöhnliche trägt "Kriegerin" unmissverständlich gleich in den ersten Szenen vor, in denen Nazis im Regionalexpress "Kanaken aufmischen". Worte wie "schonungslos", "beängstigend nah" sind in den Laudatios gefallen. Betroffenheitslyrik, weil der Film Jungnazis aus der Nähe zeigt. Man mag explizite politische Themen aus ästhetischen Gründen als Sujets für Spielfilme ablehnen. Wenn man das dem gegenüber keine Voreingenommenheit an den Tag legt, bleibt als Problem solcher Filme, dass sie dramatisieren, was als Tagesgeschehen real die Zeitungen füllt. Oder in diesem Fall: Was im Dokumentarbereich schon von Filmemachern wie Thomas Heise ausführlich und facettenreich beleuchtet worden ist. Das Manko eines Spielfilms ist, dass er einen Anfang und ein Ende finden muss, psychologische Plausibilität im Unplausiblen ergründen muss und Realitätsabbildungen anhand von Konstruktion herstellen muss. Und hier hat der Film so seine Probleme. Er braucht einen B-Plot mit Afghanistan-Flüchtling, den die weibliche Skin-Hauptfigur Marisa auf einmal retten will, nachdem sie ihn samt Bruder erst einmal umbringen wollte. Das Menschliche erfüllt sich paradox im Anerkennen des Gegenteils. Von der Floskelhaftigkeit dieser falschen Dialektik einmal abgesehen ist sie hochgradig unrealistisch. Der Ausländerhass der Figur geht übers Menscheln verloren, kaum hat man sich an ihn gewöhnt. Der Fernsehzuschauer wird bei Chips und Kaltgetränk froh sein, dass bei all dem Judenhass und "Ausländer-raus"-Gegröhle alles nicht so schlimm ist, wie man denkt, unter der harten Schale noch ein weicher Kern wabert. Nicht nur dieser Vergröberung macht sich der Film schuldig: Das Nazi-Milieu ist durchweg roh, gefühllos, kalt, brutal, hasserfüllt. Es gibt keine Zwischentöne, keine Grautöne und natürlich auch nur harten und gefühllosen Sex, keine Liebe oder Leidenschaft. Nur zwischen den Frauen scheint überhaupt Kommunikation möglich. Und so liebevoll die Gestaltung des Umfelds der Protagonistinnen mit seinen Ostklischees ist: Es zementiert eine Sicht aufs Phänomen, die weit hinter den Erkenntnissen von Thomas Heise zurückbleibt. Zentrales Ärgernis neben der Flüchtlingsrettung ist hier die Figur des geliebten Nazi-Opas, der, damit alles doch ein wenig versöhnlicher ist, im Film wenigstens stirbt. Doch es bleibt, dass der Film es sich einfach macht, die bösen Onkels der vorletzten Generation für die Nazis heute verantwortlich zu machen. Das Irritierende von Filmen wie "Stau jetzt geht's los" war ja, dass es dieser biografischen Stütze nicht bedarf, um ein strammer Neunazi zu werden. Manchmal reicht ein geschlossenes Jugendheim. Nazi-Ideologien können auch für Perspektivlose aller Herkünfte attraktiv werden, zum Unverständnis beispielsweise ihrer überzeugten SED-Eltern, aber eben auch im Westen. Dass Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit nicht einmal ein besonderes Merkmal der Neonaziszene sind, was ja noch bestürzender ist, will der Film nicht wissen. Nazis sind hier ostdeutsche Enkel echter Nazi-Verbrecher. Das gerade in ihrer Normalität Entsetzliche der Neonazi-Biografien wird mit dieser Distanzformel auf Abstand gehalten. Die in den Plot hineingestemmte Geschichte von der Sechzehnjährigen, die bei den Nazis ihren Ausbruch aus der Bürgerlichkeit sucht, wirkt wie ein Alibi für diesen Befund. Wir multikultisozialisierten Wessis können auf jeden Fall aufatmen: Wir haben mit diesem Völkchen zum Glück nichts gemein. So kann man am Ende des Films gerade wegen dieser bequem gefundenen Formel applaudieren und den Film mit Preisen überschütten. An den Nazis wird er spurlos vorbeigehen, vermutlich aber auch am Mainstream der jüngeren deutschen Kinozuschauer, die eine andere Gemengelage kennen.

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